Veröffentlicht am 19. November 2014 von Guido Keller
(Auszüge) Es gab Zeiten, da war der Wein vor allem eines: ein Nahrungsmittel. ....... Sauberes Wasser war knapp und auch beim Bier konnte man nicht unbedingt sicher sein, dass man auf der richtigen Seite war. Von der Gose, jenem Sauerbier aus Goslar, das mit Wasser aus gleichnamigen Fluss gebraut wurde beispielsweise sagt man, dass es gerne für Diarrhöe gesorgt hat. Wein dagegen, der vergorene Rebsaft, führte zu solchen Problemen nicht. Deshalb wurde er auch lange Zeit, wir reden hier mindestens vom Mittelalter bis in die Neuzeit, auch Kindern gegeben, zumindest wenn nichts anderes da war.
.......... Im Laufe der Zeit hat man dann aber die Wasser- und auch die Bierqualität besser in den Griff bekommen. Arbeitsverträge, in denen den Handwerkern mehrere Liter Wein am Tag garantiert wurden, gehörten der Vergangenheit an und der Weinkonsum verringerte sich massiv. Das ging ein wenig einher mit der Reblauskatastrophe im 19. Jahrhundert, die ja flächendeckend die Rebflächen dezimiert hat. So ist es kein Wunder, dass Anbaugebiete manchmal um acht oder neun Zehntel geschrumpft sind.
Waren bis in die Neuzeit große Teile der Bevölkerung also tendenziell ganztägig angeschickert, änderte sich dies im ausgehenden 19. Jahrhundert dramatisch. Der Wein wurde immer mehr Genuss- denn Nahrungsmittel. Vor allem in Deutschland hat sich der Wein im Laufe der Zeit von der Nahrung derart stark abgekoppelt, dass uns heute ein Speisekultur fehlt, die Essen und Wein untrennbar miteinander verbindet. Da wird dann lieber Wasser oder Bier (und zwar natürlich das einigermaßen geschmacksneutrale Fernsehbier) zum Essen konsumiert und der Wein für später aufgehoben. Ganz so, als wäre das Essen den Wein nicht wert – oder umgekehrt.
Und was gerade in den südlichen Ländern Gang und Gäbe ist, ist hier bei den meisten komplett verpöhnt: Es ist der Wein zum Mittagessen. Für diesen wird man sofort schief angeschaut, wenn man sich nicht gerade unter Gleichgesinnten befindet. Natürlich wird schnell Alkoholismus unterstellt. Die Arbeitsfähigkeit wird in Frage gestellt oder auch gerne mal die Urteilskraft. Ich halte das alles für kompletten Unsinn. Denn wer ein Glas zum Mittagessen und ein Glas zum Abendessen konsumiert, dürfte kaum der Trunksucht anheimfallen.
Das Essen schmeckt deutlich besser und der Wein zum Essen macht nicht etwa müde. Nein, er belebt, er verbessert die Laune und lässt die Gedanken weiter schweifen. Kurz gesagt, wer sich nicht gerade hoffnungslos dem calvinistischen Ethos verschrieben hat, sollte es einfach mal wagen.
Der Mittagswein ist, ich bin fest davon überzeugt, eine große kulturelle und zivilisatorische Errungenschaft. Und er macht glücklich!
Vielen lieben Dank an Christoph Raffelt!
Hier geht es zu seinem Blog ORIGINALVERKORKT und dem vollständigen Artikel.